Interview mit Mo Diener, der neuen Vertreterin der Roma im GMS-Vorstand, durchgeführt von Cécile Bühlmann, Vizepräsidentin der GMS

C.B: liebe Mo Diener, Sie sind neu in den Vorstand der GMS gewählt worden. Können Sie sich den Leserinnen und Lesern des Newsletters kurz vorstellen?

M.D: Ich bin Künstlerin für Performance und Medienkunst. Seit 5 Jahren arbeite ich in einem Kollektiv, dem Roma Jam Session Art Kollektiv. Zur Zeit arbeite ich fix mit 2 Künstlern, die aus dem Balkan kommen und seit mehr als 20 Jahren hier in der Schweiz als eingebürgerte Roma leben. Durch meine Familiengeschichte habe ich den Fokus meiner bisherigen künstlerischen Arbeit geöffnet und betätige mich jetzt auch als politische Aktivistin für die Romafrage. Die Roma sind nämlich nicht ein Problem, sondern ein Potential für die Gesellschaft. Das möchte ich in meinen Projekten zeigen und darstellen.

 

C.B: Sie sind als Romavertreterin in den GMS-Vorstand gewählt worden. Wie ist ihr Verhältnis zu andern Roma oder Roma-Organisationen in der Schweiz?

M.D: Es gibt Organisationen, mit denen ich enge Kontakte und einen regen Austa§usch habe und einige Roma, mit denen ich gerne arbeite und politische Diskurse führe. Eine davon ist die Rroma Foundation, die ich sehr schätze, weil sie sehr seriöse Arbeit macht. Es gibt Romano Dialog, mit denen ich Kontakt habe über das Radio. Dann gibt es verschiedene Vertreter von Romanovision, mit denen ich immer wieder den Austausch pflege.

 

C.B: Als GMS interessiert es uns, wie der Entscheid des Bundesrates vom 1.6.18, die Roma nicht als Nationale Minderheit zu anerkennen, bei Ihnen angekommen ist.

M.D: Das ist wie ein schlechter Witz! Sinti und Roma sind ja zusammen mit den Jenischen im Rahmenabkommen von 1996 erwähnt worden und da waren sie alle unter dem Namen „Fahrende“ aufgeführt worden und sollten geschützt werden. Die Argumente, mit welchen die Roma dieses Jahr abgelehnt worden sind, sind nicht zeitgemäss. Offenbar fürchtet der Bundesrat weitere Forderungen anderer Minderheiten auf Anerkennung, wenn diese den Roma gegeben worden wäre. Diese Unterstützung würde etwas kosten, das fürchtete man offensichtlich. Sachlich gibt es kaum Gründe für diese Ablehnung, das hat viele meiner Freunde sehr enttäuscht, Hoffnungen sind zerbrochen. Wir geben aber nicht auf. Bundesrat Cassis hat nach der Ablehnung des Bundesrates in einem Brief an uns vorgeschlagen, mit dem EDI und Bundesrat Berset zu sprechen. Dieses Meeting versuchen wir jetzt zu organisieren.

 

C.B: Wie erklären Sie sich diese Aufspaltung von Sinti und Roma? Die Sinti haben die Anerkennung als Nationale Minderheit erhalten, die Roma nicht.

M.D: Das ist eine lange Geschichte! Ich bin keine Spezialistin, aber soviel ich weiss, gibt es ein paar Familien von Sinti und Jenischen, die seit Generationen miteinander leben, verheiratet sind und ihre zum Teil fahrende, zum Teil nicht fahrende Lebensweise hat miteinander funktioniert. Solche Verbindungen gibt es selbstverständlich genauso zwischen Roma und Sinti. Es scheint, dass die Verständigung zwischen Jenischen und Roma in letzter Zeit nicht so gut funktioniert, auf den Durchgangsplätzen und überhaupt. Das ist sehr seltsam, denn früher war das anders. Die Sinti sind Roma, d.h. Roma ist ja der Überbegriff für viele Gruppen mit verschiedenen Bezeichnungen. Die Sinti gehören also zu den Roma, die Manouche als französische Sinti übrigens auch. Sie sprechen die gleiche Sprache. Diese Spaltung findet man tendenziell auch in Deutschland, was bestimmte Traditionen betrifft. Darüber gibt es Diskussionen. Es gibt aber in den Hauptlinien viele Gemeinsamkeiten, besonders was die Vertretung der Interessen dieser Gruppierungen gegenüber dem Staat betrifft. Da arbeitet man zusammen. Ganz unglücklich ist es in der Schweiz gelaufen, weil dieses ratifizierte Rahmenabkommen ohne Rücksprache mit den Roma neu formuliert wurde und zu einer Nichtakzeptanz der Roma geführt hat. Man darf nicht vergessen, es geht ja nicht um die rechtliche Anerkennung, sondern um die kulturelle und da wäre es doch keine Gefahr gewesen, dem Zuspruch zu geben. Ich bin der Ansicht, dass sich Minderheiten auf jeden Fall unterstützen sollten in der Position dem Staat gegenüber. Das wurde leider nicht sichtbar an diesem 1. Juni 2018.

 

C.B: Was sind Ihre Erwartungen an die Zusammenarbeit im Vorstand der GMS?

M.D: Ich bin sehr gespannt, neugierig, offen. Ich habe natürlich viele Ideen und bringe Ideen von meinen Freunden mit. Bei uns taucht immer wieder die Frage auf, warum es keine Räume für Roma gibt, keine Orte, wo sie sich treffen, kulturell betätigen können. Die Anerkennung hätte bedeutet, von staatlicher Seite Initiativen zu fördern. Jetzt von nicht staatlicher Seite anzufangen, diese Initiativen Schritt für Schritt umzusetzen, wäre wichtig. Die Anerkennung der Sprache könnte ein grösseres Thema werden. Ein ganz grosser Wunsch ist, ein Kulturzentrum für Roma zu gründen, einen Ort zu haben, um sich zu treffen, für Kulturereignisse oder um die Sprache zu leben.

 

C.B: Liebe Mo Diener, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen im GMS-Vorstand.

Interview mit Mo Diener, der neuen Vertreterin der Roma im GMS-Vorstand, durchgeführt von Cécile Bühlmann, Vizepräsidentin der GMS

C.B: liebe Mo Diener, Sie sind neu in den Vorstand der GMS gewählt worden. Können Sie sich den Leserinnen und Lesern des Newsletters kurz vorstellen?

M.D: Ich bin Künstlerin für Performance und Medienkunst. Seit 5 Jahren arbeite ich in einem Kollektiv, dem Roma Jam Session Art Kollektiv. Zur Zeit arbeite ich fix mit 2 Künstlern, die aus dem Balkan kommen und seit mehr als 20 Jahren hier in der Schweiz als eingebürgerte Roma leben. Durch meine Familiengeschichte habe ich den Fokus meiner bisherigen künstlerischen Arbeit geöffnet und betätige mich jetzt auch als politische Aktivistin für die Romafrage. Die Roma sind nämlich nicht ein Problem, sondern ein Potential für die Gesellschaft. Das möchte ich in meinen Projekten zeigen und darstellen.

 

C.B: Sie sind als Romavertreterin in den GMS-Vorstand gewählt worden. Wie ist ihr Verhältnis zu andern Roma oder Roma-Organisationen in der Schweiz?

M.D: Es gibt Organisationen, mit denen ich enge Kontakte und einen regen Austa§usch habe und einige Roma, mit denen ich gerne arbeite und politische Diskurse führe. Eine davon ist die Rroma Foundation, die ich sehr schätze, weil sie sehr seriöse Arbeit macht. Es gibt Romano Dialog, mit denen ich Kontakt habe über das Radio. Dann gibt es verschiedene Vertreter von Romanovision, mit denen ich immer wieder den Austausch pflege.

 

C.B: Als GMS interessiert es uns, wie der Entscheid des Bundesrates vom 1.6.18, die Roma nicht als Nationale Minderheit zu anerkennen, bei Ihnen angekommen ist.

M.D: Das ist wie ein schlechter Witz! Sinti und Roma sind ja zusammen mit den Jenischen im Rahmenabkommen von 1996 erwähnt worden und da waren sie alle unter dem Namen „Fahrende“ aufgeführt worden und sollten geschützt werden. Die Argumente, mit welchen die Roma dieses Jahr abgelehnt worden sind, sind nicht zeitgemäss. Offenbar fürchtet der Bundesrat weitere Forderungen anderer Minderheiten auf Anerkennung, wenn diese den Roma gegeben worden wäre. Diese Unterstützung würde etwas kosten, das fürchtete man offensichtlich. Sachlich gibt es kaum Gründe für diese Ablehnung, das hat viele meiner Freunde sehr enttäuscht, Hoffnungen sind zerbrochen. Wir geben aber nicht auf. Bundesrat Cassis hat nach der Ablehnung des Bundesrates in einem Brief an uns vorgeschlagen, mit dem EDI und Bundesrat Berset zu sprechen. Dieses Meeting versuchen wir jetzt zu organisieren.

 

C.B: Wie erklären Sie sich diese Aufspaltung von Sinti und Roma? Die Sinti haben die Anerkennung als Nationale Minderheit erhalten, die Roma nicht.

M.D: Das ist eine lange Geschichte! Ich bin keine Spezialistin, aber soviel ich weiss, gibt es ein paar Familien von Sinti und Jenischen, die seit Generationen miteinander leben, verheiratet sind und ihre zum Teil fahrende, zum Teil nicht fahrende Lebensweise hat miteinander funktioniert. Solche Verbindungen gibt es selbstverständlich genauso zwischen Roma und Sinti. Es scheint, dass die Verständigung zwischen Jenischen und Roma in letzter Zeit nicht so gut funktioniert, auf den Durchgangsplätzen und überhaupt. Das ist sehr seltsam, denn früher war das anders. Die Sinti sind Roma, d.h. Roma ist ja der Überbegriff für viele Gruppen mit verschiedenen Bezeichnungen. Die Sinti gehören also zu den Roma, die Manouche als französische Sinti übrigens auch. Sie sprechen die gleiche Sprache. Diese Spaltung findet man tendenziell auch in Deutschland, was bestimmte Traditionen betrifft. Darüber gibt es Diskussionen. Es gibt aber in den Hauptlinien viele Gemeinsamkeiten, besonders was die Vertretung der Interessen dieser Gruppierungen gegenüber dem Staat betrifft. Da arbeitet man zusammen. Ganz unglücklich ist es in der Schweiz gelaufen, weil dieses ratifizierte Rahmenabkommen ohne Rücksprache mit den Roma neu formuliert wurde und zu einer Nichtakzeptanz der Roma geführt hat. Man darf nicht vergessen, es geht ja nicht um die rechtliche Anerkennung, sondern um die kulturelle und da wäre es doch keine Gefahr gewesen, dem Zuspruch zu geben. Ich bin der Ansicht, dass sich Minderheiten auf jeden Fall unterstützen sollten in der Position dem Staat gegenüber. Das wurde leider nicht sichtbar an diesem 1. Juni 2018.

 

C.B: Was sind Ihre Erwartungen an die Zusammenarbeit im Vorstand der GMS?

M.D: Ich bin sehr gespannt, neugierig, offen. Ich habe natürlich viele Ideen und bringe Ideen von meinen Freunden mit. Bei uns taucht immer wieder die Frage auf, warum es keine Räume für Roma gibt, keine Orte, wo sie sich treffen, kulturell betätigen können. Die Anerkennung hätte bedeutet, von staatlicher Seite Initiativen zu fördern. Jetzt von nicht staatlicher Seite anzufangen, diese Initiativen Schritt für Schritt umzusetzen, wäre wichtig. Die Anerkennung der Sprache könnte ein grösseres Thema werden. Ein ganz grosser Wunsch ist, ein Kulturzentrum für Roma zu gründen, einen Ort zu haben, um sich zu treffen, für Kulturereignisse oder um die Sprache zu leben.

 

C.B: Liebe Mo Diener, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen im GMS-Vorstand.

27.03.2024

Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz

Sprachen sind keine „Behinderung“

Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.

Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.

Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.

Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.

Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.

Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!

 

Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

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