Der neue Rassismusbericht von GRA und GMS thematisiert anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus rassistische Vorfälle des vergangenen Jahres. Gegen den grassierenden Internethass sowie Rassismus und Antisemitismus im Alltag fordern GRA und GMS Zivilcourage. Dieses Thema bildet auch den Schwerpunkt des diesjährigen Rassismusberichtes.

 

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Zusammenfassung

Im vergangenen Jahr registrierten GRA und GMS in ihrer Chronologie 41 rassistische Vorfälle, die schweizweit von den Medien publiziert wurden. GRA und GMS sammeln damit aber lediglich Vorfälle, die medial aufgegriffen wurden. Nicht in diesen Vorfällen enthalten sind die zahlreichen Fälle, welche nicht unter das eigentliche Medienmonitoring fallen, GRA und GMS aber regelmässig gemeldet werden. Es handelt sich dabei vornehmlich um «Hate Speech», also rassistische Vorfälle im Internet. Zudem bleibt die Dunkelziffer von rassistischen Vorfällen im Jahr 2019 weiterhin hoch. Die Hemmschwelle, einen rassistischen oder fremdenfeindlichen Vorfall einer Beratungsstelle, NGO oder der Polizei zu melden, bleibt bestehen.

Die registrierten Ereignisse beinhalteten einige Fälle von Fremdenfeindlichkeit und verbalem Rassismus im öffentlichen Raum, wobei vor allem Rassismus in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Strasse publik wurden. Vor allem dunkelhäutige Menschen und Muslime wurden beschimpft oder bedroht. Letztes Jahr sind auch wieder vermehrt Fälle von Holocaust-Leugnungen bekannt geworden, wohl bestärkt durch die diversen (antisemitischen) Verschwörungstheorien, die im Netz kursieren. Auch rechtsextreme Zusammenkünfte haben zugenommen; Polizei, der Nachrichtendienst und Politiker sind gefordert, hinzuschauen und die Gefahrenlage ernst zu nehmen.

Rassistische und antisemitische Zwischenfälle auf Schweizer Schulhöfen oder in Klassenchats (Versenden von Nazi-Witzen oder Hakenkreuzen, rassistische Beleidigungen) kamen auch 2019 vor und bleiben für Lehrpersonen und Schulleitungen eine der grossen Herausforderungen der heutigen Zeit. Die Beteiligten müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.

Gegen den grassierenden Internethass sowie Rassismus und Antisemitismus im Alltag fordern GRA und GMS mehr Zivilcourage: Hinschauen, wenn Menschen am Arbeitsplatz, in der Schule, auf der Strasse oder im Internet fremdenfeindlich beleidigt und angegriffen werden und aktiv werden! Aber auch klare politische Statements gegen Fremdenfeindlichkeit sind gefordert.

Markus Notter, Alt-Regierungsrat des Kantons Zürich und ehemaliger Präsident der GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz, macht sich in seinem Beitrag ebenfalls Gedanken zum Thema. Für ihn heisst Zivilcourage, dass man sich für fremde Interessen einsetzt und dass man das öffentlich tut. Es gehe um sozialen Mut; man nehme Risiken in Kauf für fremde Interessen und setze sich dabei der Öffentlichkeit aus.

Zivilcourage bedeutet auch nach Lösungen im Kampf gegen Online-Hass zu suchen. In ihrem Experten-Bericht schreibt Dr. Mascha Kurpicz-Briki, Professorin für Data Engineering an der Berner Fachhochschule, über die technischen Möglichkeiten zur automatisierten Diskriminierungserkennung in Texten.

Hier zum Medienbeitrag von Radio X: https://radiox.ch/news-archiv/gra_stiftung_gegen_rassismus_und_antisemitismus.html

Die Chronologie «Rassismus in der Schweiz» erscheint seit 1992. Die GRA setzt sich seit über 25 Jahren für die Menschenrechte und die Erhaltung der Demokratie schweizerischer Prägung ein. Die Stiftung setzt sich gegen rassistisch motivierte Diskriminierung im Allgemeinen und Antisemitismus im Besonderen ein.

Für weitere Fragen:

Pascal Pernet
Präsident GRA Stiftung gegen
Rassismus und Antisemitismus
T +41 58 666 89 66

Pfr. Christoph Sigrist
Präsident GMS Gesellschaft
Minderheiten in der Schweiz
T +41 58 666 89 66

 

Der Podcast bietet den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Einblick in das aktuelle Zeitgeschehen und zwar mit Fokus auf die Themen Menschenrechte und Demokratie; Sensibilisierung für sowie Einsatz gegen jegliche Art der rassistisch motivierten Diskriminierung.

Episode 12 «Von Sagogn GR um die Welt nach Zürich: Mit Marc Bundi über heimatliche Prägung, Präventionsarbeit gegen Diskriminierung und den Dialog mit den Mitmenschen»

30. Juni 2020

Dr. Marc Bundi leitet die Abteilung Beziehungen und interreligiöser Dialog der Reformierten Kirche im Kanton Zürich (Abteilung Kommunikation). Ein Gespräch über elterliche Prägung, Herkunft, Kunst- und Religionsfreiheit. Wie funktioniert Mediation und Kommunikation im interreligiösen Dialog? Was für Widerstände gibt es? Laufen Religionen immer mehr Gefahr von der Tagespolitik instrumentalisiert zu werden? Zur Person: Grund- und Mittelschule in Chur, Kunststudium an der Academia di Belle Arti di Carrara (I), Master in Ethnologie, Geschichte und Arabisch, Universität Zürich, Promotion in Geschichte, Humboldt Universität zu Berlin/Université de Neuchatel. Einsätze als Zeichner auf archäologischen Grabungen im Jemen und Sudan, wo er über 20 Saisons lang für ein Schweizer Team tätig war, zuletzt als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Vermittlung und Kommunikation. Neben dem interreligiösen Dialog, zuständig für Fragen rund um das Thema Kirche und Asyl, die Koordination von Hilfsprojekten im Nahen und Mittleren Osten aus einer Kollekte für bedrängte Christinnen und Christen, sowie für internationale Beziehungen.

Informationen:
https://www.zhref.ch/organisation/landeskirche/kontakt/m-marc-bundi

Episode 11 «Samuel Althof: Experte für Extremismus und Gewaltprävention»

14. Juni 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus – und Gewaltprävention. Samuel Althof hilft Extremistinnen und Extremisten seit über 20 Jahren beim Ausstieg. Er setzt sich dabei mit linken, rechten und religiösen Gruppierungen intensiv auseinander. Für diesen Einsatz erhielt er 2016 auch den Fischhof-Preis von GRA und GMS.

Wie entstehen Hass und Gewalt? Warum verfällt jemand extremistischen Ideologien? Ein Gespräch über Dominanzorentierung, die Bedeutung der Rassismusstrafnorm sowie über Vertrauen und Empathie, die es braucht um Menschen beim Ausstieg zu helfen. Und: Was tun bei Demokratieverdrossenheit?

Mehr dazu:

http://www.fexx.ch/index.htm
https://www.gra.ch/rechtsextreme-szene-schweiz-einschaetzung/

Episode 10 «Radikale Netzwerke, aufwühlende Recherchen und viel Empathie – mit Bajour-Journalistinnen Andrea Fopp und Adelina Gashi»

3. Juni 2020

Andrea Fopp ist Co-Chefredakteurin von Bajour, dem neuen Online-Medium aus Basel. Adelina Gashi arbeitet dort als Reporterin im Recherche-Team. Mit Dominic Pugatsch sprechen sie u.a. über ihre Recherchen in linksautonomen und rechtsradikale Netzwerken, die Rolle von Lokalmedien und was Qualitätsjournalismus aus ihrer Sicht ausmacht. Ein Gespräch auch über Vertrauen, Solidarität und Empathie – gerade in Zeiten von Covid-19.

Mehr Infos: https://bajour.ch/

Episode 9 «Im Gespräch: Alma Wiecken, Leiterin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR)»

26. Mai 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Alma Wiecken, Leiterin der EKR und juristische Fachperson im Bereich Menschenrechtsschutz. Ein Gespräch über die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit, die Aufgaben der EKR und über die persönliche Motivation sich in diesem Themenbereich zu engagieren.

Die EKR ist eine ausserparlamentarische, unabhängige Kommission. Sie wurde vom Bundesrat 1995 nach der Ratifizierung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung RDK und der Annahme der Rassismusstrafnorm Art. 261bis des Strafgesetzbuches eingesetzt. Weitere Infos zur EKR: www.ekr.admin.ch

Episode 8 «Brauchen Religionen eine bessere Lobby? Christoph Sigirst über religiöse Nähe in Zeiten von Corona – und ein persönliches Bekenntnis!»

6. Mai 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster und Präsident der GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz. Sie diskutieren u.a. über folgende Fragen: Wie nimmt der Grossmünster-Pfarrer und GMS-Präsident die Corona-Krise wahr? Sollten Religionsvertreter noch besser in der Politik für ihre Anliegen weibeln? Warum er sich heuer wie in einem Forschungslabor fühlt und es einen Neuanfang braucht – wie so oft in der Geschichte!? Und: was ist eigentlich die Rolle der GMS und welche Aufgaben und Inhalte hat sie? Sind wir zur Zeit alle irgendwie gestrandete Nomaden? Wie erkennen wir Vorurteile und Stereotypen frühzeitig (auch bei uns selbst) und werden sie wieder los? Der Podcast endet persönlich: Und zwar mit einem Bekenntnis von Christoph Sigrist. Bleibt gesund!

Episode 7 «Die Rolle der Medien in der Corona-Krise. Nachgefragt bei Roland Gamp, Reporter beim Recherchedesk der Tamedia»

28. April 2020

Wie steht es aktuell um die Medienfreiheit in der Schweiz? Bilden die Medien während Covid-19 gar ein Gegengewicht zum Notrecht des Bundesrates? Können sie überhaupt noch frei berichten? Wie weit darf Kritik an den Entscheiden der obersten Behörden gehen? Über diese und weitere spannende Fragen diskutieren Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) und Roland Gamp, Reporter beim Recherchedesk der Tamedia – Tagesanzeiger und Sonntagszeitung.

Episode 6 «Troll-Fabriken, Echokammern und Nazi-Ponies: Aktuelle Formen von Hass und Rassismus im Netz»

21. April 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Lea Stahel (Dr. phil.). Stahel ist Post-Doktorandin am Soziologischen Institut der Universität Zürich (bei Prof. Dr. Katja Rost). Ihre Forschungsschwerpunkte sind digitale Soziologie, Online-Aggressionen, Soziale Normen, Legitimation, Online Nutzerverhalten, Gender-Fragen und Kontextkollaps. Darüber sprechen die beiden sowie über Hassgruppen, Legitimation durch Design und Camouflage von Websites und Web-Inhalten, Bots und Fake Profiles. Und wie nutzen eigentlich rassistische Netzwerke Algorithmen zu ihrem Vorteil? Wie könnte Counter Speech erfolgreich eingesetzt werden? Und was sind eigentlich die Beweggründe für Hate Speech/Hassrede im Netz?

Weitere Infos:
Soziologisches Institut der Uni Zürich
GRA zur Problematik Hate Speech

Episode 5 «ZRH – NYC – ZRH: Eine Reise mit Dina Wyler über Mansplaining, innerjüdischen Dialog und direkte Demokratie»

7. April 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Dina Wyler. Dina ist in Zürich aufgewachsen. Nach ihrem Bachelor in Politikwissenschaften an der Uni Zürich studiert sie in Boston Internationale Beziehungen und Religion. Nun lebt sie in New York und arbeitet für das Shalom Hartmann Institute. Ihr Fokus liegt auf Projekten des inter-religiösen Dialogs zwischen Judentum und Islam. Dina spricht im Podcast auch über die Wichtigkeit des Dialogs innerhalb einer religiösen Community oder Minderheit.

Weitere Infos über das Hartman Institute: https://hartman.org.il
Über Dina Wyler: https://hartman.org.il/about_us
www.gra.ch und www.gms-minderheiten.ch

Episode 4 «Corona-Krise und Gesellschaft: Gewaltforscher Dirk Baier im Gespräch»

31. März 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Prof. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Zu Baiers Forschungsschwerpunkten gehören: Jugendkriminalität, Gewaltkriminalität, Extremismus und Methoden der empirischen Sozialforschung. Die beiden sprechen u.a. über diese Themen sowie über Verschwörungstheorien generell und ganz besonders in Zeiten der Corona-Krise. Warum gibt es Verschwörungsphantasien und warum sind sie (immer noch) so populär? Sind sie eigentlich gefährlich? Weiter diskutieren Pugatsch und Baier über eine schweizweite Befragung von Jüdinnen und Juden zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus (Erhebungsphase soeben abgeschlossen) und über rechtsradikale Gruppen in der Schweiz und in Deutschland. Abonniert uns! Weitere Infos: www.zhaw.ch

Episode 3 «Der neue Rassismusbericht: Gespräch mit der Autorin über Zivilcourage, Hass im Netz und Fremdenfeindlichkeit»

23. März 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Dania Zafran. Sie betreut bei der GRA Stiftung unter anderem die Chronologie der rassistischen Vorfälle und die rassistischen Meldungen aus der Bevölkerung. Sie ist also am Puls des Zeitgeschehens, was Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit anbelangt. Anlässlich des am internationalen Tag gegen Rassismus erscheinenden Rassismusberichts fragen sich die beiden, warum es immer wieder zu rassistischen Vorfällen kommt, wie solche Vorfälle auf die Betroffenen wirken und was gegen Verschwörungstheorien hilft. Klar, auch das Coronavirus spielt eine zentrale Rolle in diesem Gespräch.

Episode 2 «Chamäleon Antisemitismus: Farbenlehre mit dem Professor»

17. März 2020

Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA Stiftung) begegnet in dieser Episode Erik Petry, Professor für Jüdische Geschichte an der Universität Basel und stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Geschichte der Juden und Jüdinnen in Deutschland und der Schweiz in der Neuzeit; Zionismus; Geschichte des Antisemitismus; Geschichte des Nahen Ostens; Oral History und Gedächtnisgeschichte. Die Beiden sprechen über die verschiedenen Formen von Antisemitismus, “Nazivergleiche” und “Israelkritk”. Zudem gibt es Literaturtipps für die Zeit während dem Corona-Shutdown. Prof. Dr. phil. Erik Petry ist 1961 in Kassel (D) geboren und lebt in Basel. Die Soundqualität ist aufgrund von “Social Distancing” etwas distanziert. Blibet g’sund! Mehr Infos unter: https://jewishstudies.unibas.ch/de/personen/erik-petry/

Episode 1 «Triple A mit dem Grossmünster-Pfarrer»

4. März 2020

In der ersten Sendung begegnet Dominic Pugatsch (Geschäftsführer der GRA) Christoph Sigrist. Sigrist ist Pfarrer am Grossmünster und Präsident der GMS. Die Beiden sprechen über Abgrenzung, Anpassung und Auseinandersetzung sowie natürlich auch über Nebensächlichkeiten wie Identitäten und das Coronavirus.

27.03.2024

Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz

Sprachen sind keine „Behinderung“

Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.

Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.

Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.

Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.

Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.

Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!

 

Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

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