Hassrede («Hate Speech») im Internet ist nichts Neues. Bereits vor vier Jahren schrieb die GMS in einem Standpunkt über das Phänomen und stellte fest, dass Hassrede besonders häufig Minderheiten trifft und deren Menschenwürde tangiert. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) lancierte nun am 30. November 2021 ihre neue Meldeplattform für rassistische Hassrede im Netz: www.reportonlineracism.ch. Dank dieser neuen Plattform können rassistische Äusserungen im Netz einfach und unkompliziert gemeldet werden.

 

Obwohl Hassrede im digitalen Raum kein neues Phänomen ist, konnte, während der Covid19-Pandemie, ein Anstieg an hasserfüllten Kommentaren gegen Minderheiten beobachtet werden. Von Behauptungen, dass «Ausländer» an der Pandemie schuld seien und Spitalbetten besetzten, über die Banalisierung des Holocausts, bis hin zu abstrusen antisemitischen Verschwörungstheorien. Dies zeigt, dass in Krisensituationen jeweils ein Sündenbock gesucht wird, und dass bestimmte gesellschaftliche oder politische Ereignisse Hassrede im Netz triggern oder verstärken können.

 

Online-Hassrede trägt dazu bei, dass negative Vorurteile gegen ohnehin schon stigmatisierte Minderheiten unkontrolliert und unreflektiert verbreitet werden. Für betroffene Personen kann das sehr verletzend sein und bis zu gesundheitlichen Beschwerden führen. Darüber hinaus schwächt Hassrede den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Und vielen Personen ist zudem nicht bewusst, dass sie sich mit solch hasserfüllten Kommentaren möglicherweise sogar strafbar machen. So sind Ehrverletzungen und krasse rassistische Äusserungen im digitalen Raum genauso strafbar wie im analogen.

 

Bislang gab es auf Bundesebene jedoch keine Möglichkeit, Hassrede im Netz zu melden, auch solche nicht, die möglicherweise strafrechtlich relevant ist. Dieser Mangel wurde nun im Bereich Rassismus durch die neue Meldeplattform www.reportonlineracism.ch der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) behoben. Dank der Meldeplattform kann jetzt rassistische Online-Hassrede unkompliziert mit wenigen Klicks gemeldet werden. Die EKR empfiehlt, einen Screenshot des fraglichen Inhalts hochzuladen, da Hassrede häufig rasch von den Plattformbetreibern gelöscht wird. Falls dies gewünscht wird, erhält man über die Meldeplattform der EKR auch weitergehende Informationen oder Beratung.

 

Unter rassistischer Hassrede im Netz versteht die EKR «Äusserungen im Internet in Form von Schrift, Ton oder Bild, die eine Person oder Personengruppe aufgrund namentlich ihrer «Rasse», Hautfarbe, Ethnie, nationalen Herkunft oder Religion herabwürdigen, gegen sie zu Hass aufrufen oder dies befürworten, fördern oder rechtfertigen».

 

Die Meldeplattform ist als Pilotprojekt ausgestaltet und soll eine erste Übersicht über die Art und das Ausmass gemeldeter rassistischer Hassrede im Netz bieten. Solche Daten gab es bisher für die Schweiz noch nicht. Das Monitoring von Hass im Netz ist jedoch unabdinglich, um dem Phänomen entgegentreten zu können.

 

Neben der Meldeplattform der EKR gibt es in der Schweiz noch andere Projekte, die sich mit dem Thema Hass im Netz beschäftigen. So zum Beispiel der Verein #NetzCourage, der etwa Personen, die von einem Shitstorm oder von Cybermobbing betroffen sind, Unterstützung bietet. Oder auch das Projekt Stop Hate Speech von alliance F, welches einen Algorithmus entwickelt, der selbst Hassrede im Netz aufspüren soll. Stop Hate Speech forscht zudem auch zu den Wirkungen von «Counter Speech», also Gegenrede gegen Hasskommentare, um sich auch auf diese Weise gegen Hass im Netz stark zu machen.

 

Der Standpunkt als PDF

Standpunkte

27.03.2024

Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz

Sprachen sind keine „Behinderung“

Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.

Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.

Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.

Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.

Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.

Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!

 

Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

Der Standpunkt als PDF

Mehr erfahren
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz
Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz