Zürich, 21. Februar 2022 – Vor kurzem hat der Bundesrat sich gegen ein konsequentes Verbot von Nazi-Symbolik im öffentlichen Raum ausgesprochen, nachdem Ende letzten Jahres gleich drei Parlamentarier:innen entsprechende Vorstösse eingereicht hatten. Dieser Entscheid des Bundesrates und vor allem auch seine Begründung stiessen bei vielen Menschen auf grosses Unverständnis.

 

Anders als in Deutschland gilt in der Schweiz kein generelles Verbot rechtsextremer Symbole oder Gesten. Wörtlich besagt die Rassismus-Strafnorm, dass sich strafbar macht, wer «öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt». Das Tragen eines Hakenkreuzes oder das Ausführen eines Hitlergrusses ist demnach nur dann strafbar, wenn damit eine menschenverachtende Ideologie, wie der Nationalsozialismus, aktiv beworben wird. Der Nachweis, dass dieses Moment vorliegt, ist zum Teil nur schwer zu erbringen. Richter:innen haben hier einen relativ weiten Interpretationsspielraum. Ob es sich bei einem Vorfall «lediglich» um ein persönliches Bekenntnis handelt oder um die Verbreitung einer Ideologie, entscheidet das zuständige Gericht nach eigenem Ermessen. An den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten stossen sich zunehmend auch Politiker:innen.

 

Gerade bei Symbolen, die sinnbildlich für eine Ideologie stehen, die nicht mit den Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates zu vereinbaren sind, ist eine klare Rechtsgrundlage aber unabdingbar. Versuche zur Einführung eines generellen Verbotes menschenverachtender Symbole sind im Parlament bisher gescheitert. Ende letzten Jahres wurden gleich drei politische Vorstösse von Parlamentarier:innen eingereicht. Den Vorstoss von Marianne Binder-Keller, eine Forderung eines ausnahmslosen Verbots öffentlicher Zurschaustellung von Nazisymbolik, lehnte der Bundesrat nun ab. Seine Argumente sind jedoch fragwürdig.

 

Der Bundesrat hält an seiner Unterscheidung zwischen passiver Zurschaustellung und aktiver Werbung für nationalsozialistische Ideologien fest. Diese Unterscheidung ist jedoch völlig lebensfremd und rein theoretischer Natur. Zudem, so der Bundesrat, sei es «hinzunehmen, dass auch stossende Ansichten vertreten werden, selbst wenn sie für die Mehrheit unhaltbar sind.» Die Meinungsäusserungsfreiheit ist einer der höchsten Güter unserer Demokratie und muss, wann immer möglich gewahrt werden. Die Ideologie des Nationalsozialismus ist aber mehr als eine «stossende Ansicht». Der Nationalsozialismus und damit auch die Symbole, die für diese Ideologie stehen, spricht bestimmten Menschen, wie beispielsweise Jüdinnen und Juden, das Recht zu leben und Teil der Schweizer Gemeinschaft zu sein ab. Für betroffene Minderheiten bedeutet die öffentliche Zurschaustellung von rassistischen und nationalsozialistischen Symbolen einen direkten Angriff auf deren Integrität und Teilhabe an der Schweizer Gesellschaft.

 

 

In seiner Stellungnahme schreibt der Bundesrat zudem, dass «gegen die Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen ohne Propagandazwecke Prävention geeigneter sei als straf-rechtliche Repression». Das eine schliesst das andere jedoch nicht aus, es braucht beide Komponenten – die Prävention und ein Verbot inklusive klarer Strafbestimmung.

 

Die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus lancierte nach dem Entscheid des Bundesrates am 15. Februar 2022 eine Online-Petition. Mit dieser werden die Mitglieder des National- und Ständerats dazu aufgefordert, die Ende letzten Jahres eingereichten politischen Vorstösse anzunehmen und damit ein unmissverständliches Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen. Die GMS unterstützt diese Petition. Es wird Zeit, dass die Politik die gegenwärtig unbefriedigende Unterscheidung zwischen aktivem Werben und passivem Zurschaustellen der eigenen extremistischen Haltung durch entsprechende Symbole unter die Lupe nimmt und eine klare Rechtsgrundlage schafft. Diese Klärung wäre nicht nur ein Zeichen für den Schutz von Minderheiten, die sich durch entsprechende Symbole direkt bedroht sehen, sondern auch ein wichtiges Bekenntnis zum Demokratieverständnis der Schweiz.

 

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Standpunkte

 

 

 

27.03.2024

Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz

Sprachen sind keine „Behinderung“

Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.

Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.

Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.

Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.

Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.

Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!

 

Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

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