Der rechtliche Diskriminierungsschutz in der Schweiz lässt sehr zu wünschen übrig. Gerade im Zivilrecht – d.h. bei Diskriminierungen im Verhältnis zwischen Privaten – ist der Rechtsschutz mangelhaft. Im europäischen Vergleich fällt die Schweiz hier stark ab.
An der letzten Generalversammlung der GMS haben die Juristinnen Alma Wiecken, Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und Giulia Reimann, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der EKR, ein Inputreferat zum zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz gehalten und bestehende Lücken aufgezeigt.
Zwei Konkrete Beispiele
Beispiel 1: Frau A. bewirbt sich auf eine Stelle als Pflegefachfrau in einer Altersresidenz. Sie bewirbt sich bewusst ohne Foto, weil sie vermutet, dass ihr Dossier in der Vergangenheit häufig aufgrund ihrer Hautfarbe abgelehnt worden ist. Sie wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Gleich zu Beginn sagt ihr die Geschäftsleiterin, dass sie leider keine Personen mit dunkler Hautfarbe anstellen, da die Bewohner:innen sich das nicht gewohnt seien. Vom HR erhält Frau A. eine schriftliche Absage, in der lediglich steht, man hätte sich für jemanden anderes entschieden. Die Rechtsschutzversicherung von Frau A. erklärt ihr, dass rechtliche Schritte wenig Erfolg versprächen, da eine diskriminierende Absage vorliegend nicht nachgewiesen werden könne.
Beispiel 2: Familie B. wohnt in einem Block. Die Nachbarin von oben ist eine ältere Frau, die Familie B. ständig wegen ihres muslimischen Glaubens schikaniert und beleidigt. Sie schüttet z.B. Wasser vom Balkon herunter und verängstigt die beiden Kinder. Familie B. hat sich schon mehrmals an die Verwaltung gewendet, aber diese will sich nicht einmischen. Die Polizei hat die Nachbarin einmal verwarnt, aber geändert hat sich nichts. Die Situation ist für Familie B. sehr belastend. Ein Wegzug kommt aus finanziellen Gründen nicht in Frage und die Wohnung ist in der Nähe der Schule der Kinder. Der Mieterverband informiert Familie B., dass das Mietrecht leider keine Regelung enthalte, die Vermieter:innen verpflichtet, Mieter:innen gegen Diskriminierung zu schützen.
Rechtslage in der Schweiz
Die Schweiz verfolgt einen sog. «sektoriellen Ansatz». Das bedeutet, dass es kein globales Antidiskriminierungsgesetz gibt, wie dies etwa in Deutschland, Österreich oder im Vereinigten Königreich der Fall ist. Solche allgemeinen Antidiskriminierungsgesetze regeln zum einen verschiedene Lebensbereiche, wie Arbeit, Wohnen, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen decken sie sämtliche Diskriminierungsmerkmale ab, also z.B. Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, nationale und ethnische Herkunft, Religion, Behinderung usw. In der Schweiz gibt es bislang nur Spezialgesetze für die Sicherung der Gleichstellung von Mann und Frau (das Gleichstellungsgesetz) sowie für die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung (das Behindertengleichstellungsgesetz). Diese beiden Gesetze sind zwar sehr zu begrüssen, jedoch fehlen solche Spezialgesetze für andere Diskriminierungsmerkmale.
Schutzansätze finden sich im Obligationenrecht (OR) und im Zivilgesetzbuch (ZGB). So verankert letzteres den allgemeinen Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ZGB) und das Prinzip von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB). Im Arbeitsrecht findet sich der Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden (Art. 328 OR) und der Schutz vor missbräuchlicher Kündigung (Art. 336 OR). Diese Normen sind jedoch zu allgemein gehalten und nicht spezifisch auf Diskriminierungsfälle ausgerichtet. Noch schwerer anwendbar auf Diskriminierungsfälle ist sodann das Mängelrecht im Mietrecht (Art. 258 ff. OR).
Zu dieser mangelhaften Gesetzeslage kommen weitere Hürden für Betroffene hinzu. Etwa, dass die Beweislast bei der Durchsetzung der Rechte bei der diskriminierten Person liegt. Es ist meist unmöglich, eine Diskriminierung nachzuweisen oder die erforderlichen Beweise vorzulegen. Weiter ist ein Zivilverfahren sehr komplex und teuer. Das Kostenrisiko und die Angst vor möglichen Konsequenzen halten viele Betroffene davon ab, rechtliche Schritte zu unternehmen. Dies wiederum führt dazu, dass es im Zivilrecht kaum Rechtsprechung zu Diskriminierungsfällen gibt und somit viel rechtliche Unsicherheit besteht, sowohl bei Betroffenen wie auch bei Rechtsexpert:innen.
Verbesserungsvorschläge
Bereits 2015 hatte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte in einer Studie festgestellt, dass der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen mangelhaft ist. Seither hat sich jedoch kaum etwas geändert, obwohl in der rechtswissenschaftlichen Literatur Einigkeit darüber besteht, dass Verbesserungsbedarf besteht. Es werden auch Vorschläge gemacht, wie die Lücken gefüllt werden können.
Möglich wäre der Erlass eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes, welches klare Verpflichtungen für Arbeitgebende, weitere Institutionen und den Staat festlegt sowie klare Anweisungen und Vorschriften enthält, wie Diskriminierung vermieden oder bekämpft werden soll. Ein solches Spezialgesetz könnte sich z.B. am bestehenden Gleichstellungsgesetz orientieren und folgende Punkte regeln: Ein kostenloses Schlichtungsverfahren für Diskriminierungsfälle; eine Beweislasterleichterung, d.h. die betroffene Person muss die Diskriminierung nur glaubhaft machen und die Gegenpartei den Gegenbeweis erbringen; das Verbandsklagerecht, d.h. das Recht von Interessensverbänden, im Namen von einzelnen Betroffenen zu Klagen; Sanktionen für diskriminierende Belästigungen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, die bestehenden Regelungen im OR und im ZGB anzupassen. So könnte der Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht vom Anstellungsverhältnis auf das Bewerbungsverfahren erweitert werden. Im Mietrecht müsste überhaupt erst ein Persönlichkeitsschutz eingeführt werden. Im OR und auch im ZGB könnte eine Beweislasterleichterung für Diskriminierungsfälle gelten. Für Missbräuchliche Kündigungen sollten die Sanktionen erhöht werden. Denkbar wäre zuletzt auch die Einführung von Pönalentschädigungen, die präventiv vor diskriminierendem Verhalten abschrecken sollen.
Die GMS setzt sich für einen hinreichenden Diskriminierungsschutz ein und unterstützt Vorhaben, die darauf abzielen, den rechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz zu verbessern.
Die GMS engagiert sich im Trägerverein des Schweizer Memorials
Was ist das Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus?
Mit dem Schweizer Memorial wird den unterschiedlichsten Opfern des Nationalsozialismus gedenkt. Es versteht sich als Erinnerungsort, Vermittlungsort und Netzwerk in einem.
Seit der Bundesrat im April 2023 entschieden hat, einen Erinnerungsort mit 2,5 Millionen Franken zu errichten, haben, unter Federführung des Eidgenössische Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Vertreter:innen der Stadt Bern, des Schweizerisches Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und des Archivs für Zeitgeschichte (AfZ) der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Fachpersonen intensiv am Projekt gearbeitet und dessen Strukturen aufgebaut und gefestigt.
Der Erinnerungsort ist heute auf der Casinoterrasse in Bern geplant, das «Vermittlungszentrum Flucht» in Diepoldsau.
Ein Trägerverein für das Schweizer Memorial
Seit 2025 gibt es neben des Netzwerkvereins auch den Trägerverein. Ihm obliegt die langfristige Verantwortung für den Erinnerungsort in Bern – insbesondere für dessen Betrieb, Pflege, Sicherheit und dessen Weiterentwicklung. Später kann der Trägerverein eine entsprechen Rolle für das geplante «Vermittlungszentrum Flucht» im St. Galler Rheintal übernehmen. Der Verein versteht sich als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft, Fachwelt und Behörden. Neben dem SIG und dem AfZ ist auch die GMS Mitgründerin des Trägervereins.
Die GMS engagiert sich für ein inklusives, zukunftsgerichtetes Gedenken und bringt ihre
Perspektive auf Minderheitenrechte und Erinnerungskultur ein.
Webseite des Schweizer Memorials
Medienmitteilung Wettbewerbslancierung