Der Diskriminierungsschutz in der Schweiz ist ungenügend: Bestandsaufnahme und Blick in die Zukunft
17.10.2023

Der rechtliche Diskriminierungsschutz in der Schweiz lässt sehr zu wünschen übrig. Gerade im Zivilrecht – d.h. bei Diskriminierungen im Verhältnis zwischen Privaten – ist der Rechtsschutz mangelhaft. Im europäischen Vergleich fällt die Schweiz hier stark ab.

An der letzten Generalversammlung der GMS haben die Juristinnen Alma Wiecken, Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und Giulia Reimann, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der EKR, ein Inputreferat zum zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz gehalten und bestehende Lücken aufgezeigt.

Zwei Konkrete Beispiele

 Beispiel 1: Frau A. bewirbt sich auf eine Stelle als Pflegefachfrau in einer Altersresidenz. Sie bewirbt sich bewusst ohne Foto, weil sie vermutet, dass ihr Dossier in der Vergangenheit häufig aufgrund ihrer Hautfarbe abgelehnt worden ist. Sie wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Gleich zu Beginn sagt ihr die Geschäftsleiterin, dass sie leider keine Personen mit dunkler Hautfarbe anstellen, da die Bewohner:innen sich das nicht gewohnt seien. Vom HR erhält Frau A. eine schriftliche Absage, in der lediglich steht, man hätte sich für jemanden anderes entschieden. Die Rechtsschutzversicherung von Frau A. erklärt ihr, dass rechtliche Schritte wenig Erfolg versprächen, da eine diskriminierende Absage vorliegend nicht nachgewiesen werden könne.

Beispiel 2: Familie B. wohnt in einem Block. Die Nachbarin von oben ist eine ältere Frau, die Familie B. ständig wegen ihres muslimischen Glaubens schikaniert und beleidigt. Sie schüttet z.B. Wasser vom Balkon herunter und verängstigt die beiden Kinder. Familie B. hat sich schon mehrmals an die Verwaltung gewendet, aber diese will sich nicht einmischen. Die Polizei hat die Nachbarin einmal verwarnt, aber geändert hat sich nichts. Die Situation ist für Familie B. sehr belastend. Ein Wegzug kommt aus finanziellen Gründen nicht in Frage und die Wohnung ist in der Nähe der Schule der Kinder. Der Mieterverband informiert Familie B., dass das Mietrecht leider keine Regelung enthalte, die Vermieter:innen verpflichtet, Mieter:innen gegen Diskriminierung zu schützen.

Rechtslage in der Schweiz

Die Schweiz verfolgt einen sog. «sektoriellen Ansatz». Das bedeutet, dass es kein globales Antidiskriminierungsgesetz gibt, wie dies etwa in Deutschland, Österreich oder im Vereinigten Königreich der Fall ist. Solche allgemeinen Antidiskriminierungsgesetze regeln zum einen verschiedene Lebensbereiche, wie Arbeit, Wohnen, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen decken sie sämtliche Diskriminierungsmerkmale ab, also z.B. Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, nationale und ethnische Herkunft, Religion, Behinderung usw. In der Schweiz gibt es bislang nur Spezialgesetze für die Sicherung der Gleichstellung von Mann und Frau (das Gleichstellungsgesetz) sowie für die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung (das Behindertengleichstellungsgesetz). Diese beiden Gesetze sind zwar sehr zu begrüssen, jedoch fehlen solche Spezialgesetze für andere Diskriminierungsmerkmale.

Schutzansätze finden sich im Obligationenrecht (OR) und im Zivilgesetzbuch (ZGB). So verankert letzteres den allgemeinen Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ZGB) und das Prinzip von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB). Im Arbeitsrecht findet sich der Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmenden (Art. 328 OR) und der Schutz vor missbräuchlicher Kündigung (Art. 336 OR). Diese Normen sind jedoch zu allgemein gehalten und nicht spezifisch auf Diskriminierungsfälle ausgerichtet. Noch schwerer anwendbar auf Diskriminierungsfälle ist sodann das Mängelrecht im Mietrecht (Art. 258 ff. OR).

Zu dieser mangelhaften Gesetzeslage kommen weitere Hürden für Betroffene hinzu. Etwa, dass die Beweislast bei der Durchsetzung der Rechte bei der diskriminierten Person liegt. Es ist meist unmöglich, eine Diskriminierung nachzuweisen oder die erforderlichen Beweise vorzulegen. Weiter ist ein Zivilverfahren sehr komplex und teuer. Das Kostenrisiko und die Angst vor möglichen Konsequenzen halten viele Betroffene davon ab, rechtliche Schritte zu unternehmen. Dies wiederum führt dazu, dass es im Zivilrecht kaum Rechtsprechung zu Diskriminierungsfällen gibt und somit viel rechtliche Unsicherheit besteht, sowohl bei Betroffenen wie auch bei Rechtsexpert:innen.

Verbesserungsvorschläge

 Bereits 2015 hatte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte in einer Studie festgestellt, dass der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen mangelhaft ist. Seither hat sich jedoch kaum etwas geändert, obwohl in der rechtswissenschaftlichen Literatur Einigkeit darüber besteht, dass Verbesserungsbedarf besteht. Es werden auch Vorschläge gemacht, wie die Lücken gefüllt werden können.

Möglich wäre der Erlass eines umfassenden Antidiskriminierungsgesetzes, welches klare Verpflichtungen für Arbeitgebende, weitere Institutionen und den Staat festlegt sowie klare Anweisungen und Vorschriften enthält, wie Diskriminierung vermieden oder bekämpft werden soll. Ein solches Spezialgesetz könnte sich z.B. am bestehenden Gleichstellungsgesetz orientieren und folgende Punkte regeln: Ein kostenloses Schlichtungsverfahren für Diskriminierungsfälle; eine Beweislasterleichterung, d.h. die betroffene Person muss die Diskriminierung nur glaubhaft machen und die Gegenpartei den Gegenbeweis erbringen; das Verbandsklagerecht, d.h. das Recht von Interessensverbänden, im Namen von einzelnen Betroffenen zu Klagen; Sanktionen für diskriminierende Belästigungen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, die bestehenden Regelungen im OR und im ZGB anzupassen. So könnte der Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht vom Anstellungsverhältnis auf das Bewerbungsverfahren erweitert werden. Im Mietrecht müsste überhaupt erst ein Persönlichkeitsschutz eingeführt werden. Im OR und auch im ZGB könnte eine Beweislasterleichterung für Diskriminierungsfälle gelten. Für Missbräuchliche Kündigungen sollten die Sanktionen erhöht werden. Denkbar wäre zuletzt auch die Einführung von Pönalentschädigungen, die präventiv vor diskriminierendem Verhalten abschrecken sollen.

Die GMS setzt sich für einen hinreichenden Diskriminierungsschutz ein und unterstützt Vorhaben, die darauf abzielen, den rechtlichen Diskriminierungsschutz in der Schweiz zu verbessern.

 

Der Standpunkt als PDF

15.05.2024

Züri City Card nach der gewonnenen Abstimmung vom 15.5.2022

Die Züri City Card wurde durch die urban citizenship oder Stadtbürger:innenschaft inspiriert und orientiert sich an der Vision einer Sanctuary City, in der alle Einwohner: innen alle Rechte ohne Ausgrenzung geniessen.

Die Züri City Card ist somit ein Instrument für die Inklusion der Stadtbewohner:innen. Sie soll die Solidarität unter den Bewohner: innen fördern; die Grundrechte aller wahren und für Sans-Papiers Aufenthaltssicherheit bei Polizeikontrollen ermöglichen.

 

Um was für eine Abstimmung handelte es sich damals?

Um Verwirrung zu vermeiden, erinnern wir uns an das Ziel dieser Abstimmung: Es wurde über einen Rahmenkredit von 3.2 Millionen für die Vorbereitungsarbeiten zur Einführung der Züri City Card abgestimmt.

„Der Rahmenkredit dient dazu, die Züri City Card auszuarbeiten. Dazu gehören technische und organisatorische Abklärungen, die für die Herstellung und Ausstellung des Stadtausweises nötig sind. Die Stadt muss ausserdem Massnahmen einleiten, damit die Züri City Card von der Bevölkerung und wichtigen Stellen getragen wird. Gemäss Stadtrat dürften diese Vorbereitungs- und Umsetzungsarbeiten rund drei bis vier Jahre dauern“ hiess es in einer Mitteilung der Stadt Zürich.

 

Eine kleine Chronologie

Das Projekt begann 2015 in Form eines Hafenforums. Da entstand die Idee, einen Ort zu schaffen, der sich mit einem Hafen identifiziert: das Gefühl der Sicherheit, das mit der sicheren Ankunft in einem Hafen verbunden ist!  Das ursprünglich künstlerische Projekt wurde nachher von einem Verein getragen, der sich seinerseits von der New Yorker ID inspirieren ließ. So entstand der Verein Züri City Card. Der Verein glaubte an die Erstellung der Karte durch die Stadtverwaltung von Zürich, musste dann aber feststellen, dass diese nicht legitimiert war, diese einzuführen. Von da an war klar, dass die Politik, also das Stadtparlament die Einführung der Züri City card machen musste.

Der Verein arbeitete mit Gemeinderät:innen zusammen und diese schafften es, dass am 11. Juli 2018 im Gemeindeparlament eine Motion verabschiedet wurde, die darauf abzielte, von der  Stadtregierung die Einführung eines Stadtausweises zu fordern.  Nachdem zwei juristische Gutachten, die von der Stadtregierung in Auftrag gegeben worden waren, festhielten, dass die Stadt Zürich legitimiert ist, einen solchen Ausweis auszustellen, der auch für die Polizei rechtsgenüglich ist, bekannte sich der Stadtrat knapp zwei Jahre später zur Züri City Card. Zu deren Realisierung forderte der Stadtrat einen Kredit von 3.2 Millionen. Dieser wurde vom Gemeinderat der Stadt Zürich gutgeheissen. Die rechten Kräfte widersetzen sich dem Projekt mit einem Referendum. So kam es am 15. Mai 2022 zu einer Volksabstimmung in der Stadt Zürich, welche den Kredit aber guthiess.

Nach der Euphorie des Sieges folgte seitens des Vereins eine Zeit des Fragens nach der weiteren Legitimierung und der Inaktivität. Für einmal lag die Sache nicht mehr in seinen Händen! Denn ein Arbeitsausschuss der Stadt wurde damit beauftragt, die Modalitäten für die Ausstellung der Karte zu erarbeiten.

Um über ein Weiterleben des Vereins zu diskutieren, organisierte der Verein Züri City Card am 26. November 2022 eine Klausurtagung. Dabei wurde beschlossen, den Verein wieder neu zu beleben und inhaltlich zu erweitern. Es braucht den Verein für die kritische Begleitung der Stadtverwaltung bei den Vorarbeiten zur Züri City Card; damit diese auch im Sinn des Vereins umgesetzt wird. Sehr wichtig bleibt der Verein auch bei einer wahrscheinlich zweiten Abstimmung über eine Gesetzesänderung für die Züri City Card – das erneute Referendum von FDP und SVP wird erwartet. Darüber hinaus beschloss der Verein sich für die Weiterentwicklung der ‚urban citizenship‘ in Zürich einzusetzen.

 

 

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Züri City Card nach der gewonnenen Abstimmung vom 15.5.2022
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