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Nein zur «No-Billag-Initiative»

Ein GMS-Standpunkt: Adia Rumantschia!

Gemäss der Volksinitiative: «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren» sollen die «Billag»-Gebühren abgeschafft werden. Das Initiativkomitee spricht von Zwangsabgaben, welche die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und von Unternehmen einschränken würden. Die Abschaffung soll alle entlasten und nicht zu Mehrbelastungen führen. Gemäss Initiativkomitee werde die Volkswirtschaft gestärkt, zumal alle Branchen und Unternehmen sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen bewerben könnten.

Die SRG erbringt einen «Service public». Sie setzt die Ziele der Bundesverfassung sowie der Kulturbotschaft um, indem sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Das beruht im Wesentlichen auf zwei Säulen: der Förderung der Landessprachen und der Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften einerseits und der Förderung des Kulturaustauschs im Inland andererseits. In den entsprechenden Gesetzen ist das so geregelt und deshalb auch demokratisch legitimiert.

Das Angebot der gebührenfinanzierten Radio- und Fernsehveranstalter würde bei Annahme der Initiative drastisch reduziert. Besonders stark betroffen wären die französisch-, italienisch- und rätoromanischsprachige Schweiz.

Der Bundesrat erinnert in der Mitteilung auch an den Bericht zum Service public im Medienbereich, den er im Juni veröffentlicht hatte. Darin kommt er zum Schluss, dass die Schweiz weiterhin eigenständige, in allen Sprachregionen vergleichbare, qualitativ gute und unabhängige Radio- und Fernsehangebote braucht. Dafür müssen die entsprechenden finanziellen Mittel bereitgestellt werden.

Die zentralen Handlungen des Bundes sind gemäss Kulturbotschaft 2016-2020 unter anderem die Bewahrung der Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz sowie die Förderung der individuellen und institutionellen Mehrsprachigkeit in den Landesteilen. Das Romanische soll dabei ab dem Jahr 2020 eine höhere Priorität haben. Die «No Billag»-Initiative steht dem diametral entgegen.

Sollte die «No Billag»-Initiative oder ein allfälliger gesetzlicher Gegenentwurf zur Halbierung der
Radio- und Fernsehgebühren angenommen werden, ist das Romanische diesmal in seinem Fundament gefährdet, so dass das Angebot für das Rätoromanische aus Kostengründen gestrichen würde, weil das Programm nicht mehr finanziert werden könnte. Diese Folge wäre die Auflösung des Rätoromanischen Radios und Fernsehens. Neben dem Verlust von etlichen Arbeitsplätzen im dezentralen Graubünden würde das zu einer völlig veränderten Medienlandschaft für die Rätoromanen führen.

Weitere Entwicklungen, die gegen die Rumantschia laufen, sind bewusst oder unbewusst im Gange:

Erst kürzlich bestätigte das Bundesgericht die Gültigkeit einer Bündner Volksinitiative, die eine einzige Fremdsprache in der Grundschule fördert, und zwar Englisch für die Deutschsprechenden und Deutsch für die Italienisch- und Romanischsprechenden. Romanisch und Italienisch sprechende Kinder in Graubünden werden schon schulisch und kulturell benachteiligt.

Sodann ist die einzige romanische Tageszeitung La Quotidiana in finanzieller Schieflage. Zukunft ungewiss.

Als drittes Beispiel ist das Vorgehen der ETH zu nennen: Die ETH Zürich entledigt sich der Romanischprofessur, weil sie die Kosten von CHF 100’000 als zu hoch einschätzte. Gemessen am gesamten Aufwand der ETH ein fragwürdiger Entscheid. Zumal die ETH von Gesetzes wegen verpflichtet ist, die «Landessprachen» zu pflegen und das Verständnis ihrer kulturellen Werte zu fördern.

Die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz (GMS), weist mit grosser Besorgnis auf diese beunruhigenden Entwicklungen für den Zusammenhalt in der Schweiz und den Respekt gegenüber den Minderheiten hin.

Die Rumantschia wird von verschiedenen Entwicklungen bedrängt. Ein enormer Druck lastet auf
ihr, unter dem sie zu zerbrechen droht. Ist die Schweiz überhaupt noch bereit, diese sprachliche
Minderheit zu unterstützen? Oder wird der Schutz der Bundesverfassung für die vierte Landessprache zunehmend zum toten Buchstaben?

Damit das nicht passiert, appelliert die GMS an Parlament und Stimmberechtigte, sich mit allen
Kräften gegen die «No Billag»-Initative einzusetzen.

Appell «Pro Quotidiana»

Am 17. März konnte die romanische Tageszeitung «La Quotidiana» im Haus der Somedia in Chur ihren 20. Geburtstag feiern. Schon wenige Tage nach der von viel Prominenz besuchten Jubiläumsfeier liess die Somedia als Verlegerin jedoch verlauten, sie werde die «Quotidiana» per Ende 2017 einstellen, sofern sie nicht jährlich 300 000 Franken zu deren Finanzierung erhalte. In der Folge wurde dem Chefredaktor per Ende 2017 gekündigt. Die Initianten des Appells setzen sich entschieden für den Erhalt der Quotidiana ein und bitten alle Leserinnen und Leser des Aufrufes, den Appell auf der Internetseite www.proquotidiana.ch zu unterzeichnen.

Verein «Nein zum Sendeschluss»

Die Schweiz stimmt am 4. März 2018 über die No-Billag-Initiative ab, die eine Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren verlangt. Der Verein «Nein zum Sendeschluss» setzt sich für ein unabhängiges Radio- und Fernsehangebot in der Schweiz ein. Aus diesem Grund bekämpft er die gefährliche «No-Billag»-Initiative.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.sendeschluss-nein.ch

27.03.2024

Gehörlose Menschen – eine sprachliche und kulturelle Minderheit in der Schweiz

Sprachen sind keine „Behinderung“

Der Vorstand der Gesellschaft für Minderheiten in der Schweiz (GMS) hat beschlossen, den Minderheitenbegriff zu erweitern, um auch hybride Identitäten von Minderheiten zu berücksichtigen. Diese Entscheidung reflektiert die zunehmende Vielfalt und Komplexität der menschlichen Identität. Angesichts dessen ist es für die GMS als Verein, der sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten in der Schweiz einsetzt, unerlässlich, dass auch die Gehörlosengemeinschaft von der GMS-Unterstützung erhält.

Für die Gehörlosengemeinschaft ist es von grosser Bedeutung, dass Gehörlosigkeit nicht länger als «Behinderung» betrachtet wird, sondern dass Gehörlose als eine sprachliche und kulturelle Minderheit anerkannt und respektiert werden. Gehörlose und hörende Menschen haben jedoch noch immer eine stark voneinander abweichende Vorstellung von Gehörlosigkeit. So impliziert Gehörlosigkeit für die Mehrheit der Hörenden ein Defizit, welches zu beseitigen ist. Die meisten gehörlosen Menschen hingegen fühlen sich als Mitglied einer kulturellen Minderheit mit eigener Kultur und Sprache, nämlich der Gebärdensprache.

Weltweit leben ca. 70 Millionen gehörlose Menschen, davon 20’000 bis 30’000 in der Schweiz. Die Gehörlosengemeinschaft ist eine sprachliche und kulturelle Minderheit. Das Fundament dieser Kultur sind die Gebärdensprachen, welche untrennbar mit der kulturellen Identität der Gehörlosengemeinschaft verbunden sind. In der Schweiz gibt es insgesamt drei Gebärdensprachen: Die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des Signes Française (LSF) und die Lingua Italiana dei Segni (LIS). Um mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die Gebärdensprache ist nicht international, da Sprachen sich regional entwickeln und von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Wie jede andere Sprache, haben sich auch Gebärdensprachen natürlich weiterentwickelt. Deshalb hat jedes Land seine eigene Gebärdensprache(n), die sogar regionale Dialekte aufweisen kann, ähnlich den Variationen in gesprochenen Sprachen. Die Gebärdensprache war jedoch lange Zeit verboten. Beim sogenannten Mailänder Kongress im Jahr 1880 trafen hörende Pädagog:innen die Entscheidung, die Verwendung der Gebärdensprache in Europa zu untersagen. Anstatt gehörlosen Schüler:innen Wissen und Bildung zu vermitteln, konzentrierten sich die Lehrkräfte darauf, ihnen das Sprechen beizubringen. Dies oft unter inakzeptablen Bedingungen: Gehörlosen Kindern wurde es z.B. verboten, miteinander in Gebärdensprache zu kommunizieren. Im Unterricht wurden sie unter anderem dazu aufgefordert, sich auf ihre Hände zu setzen oder diese hinter den Rücken zu halten. Die Gebärdensprache konnte somit meist nur im Verborgenen angewendet und weiterentwickelt werden. Um ca. 1980 begann sich langsam auch in der Schweiz die Erkenntnis durchzusetzen, dass Gebärdensprache ein eigenständiges und vollwertiges Sprachsystem ist, mit dem gehörlose Menschen alles ausdrücken und mitteilen können. Jedoch erst im Juli 2010, auf der internationalen Konferenz zur Bildung und Erziehung Gehörloser (ICED) in Vancouver, wurde der Beschluss gefasst, die Resolutionen des Mailänder Kongresses von 1880 offiziell aufzuheben.

Am 22. August 2023 wurde vom Bundesamt für Kultur bekannt gegeben, dass die Schweiz die Gebärdensprachen als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste der lebendigen Traditionen des Landes aufgenommen hat. Die Gebärdensprachen müssen jedoch endlich auch rechtlich anerkannt werden, denn sie ermöglichen gehörlosen Personen den gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitswesen, zur Kultur sowie zu Bildungsangeboten. Dieser Zugang muss gehörlosen Menschen durch Bund, Kantone und Gemeinden im Rahmen ihrer Kompetenzen garantiert werden, wie es auch die UNO-Behindertenrechtskonvention und das Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung verlangen. Die fehlende Anerkennung der Gebärdensprachen steht im Widerspruch zur UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNO-BRK), welche die Schweiz 2014 ratifiziert hat. Darin werden die Gebärdensprachen als eigenständige Sprache definiert und die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, die Gebärdensprachen und die Gehörlosenkultur anzuerkennen.

Die Schweiz ist eines der letzten Länder in Europa, welches seine Gebärdensprachen nicht auf nationaler Ebene anerkannt hat. Auf kantonaler Ebene sind die Gebärdensprachen in Genf, Zürich und dem Tessin in den jeweiligen Kantonsverfassungen erwähnt. Der Kanton Neuchâtel kennt die Anerkennung auf Gesetzesstufe.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gebärdensprachen durch die Einführung eines Gebärdensprachengesetzes offiziell anerkannt und gefördert werden. Dies stellt einen unerlässlichen Schritt dar, um die Gebärdensprachen zu legitimieren und die Lebenssituation gehörloser Menschen in der Schweiz nachhaltig und wirksam zu verbessern.

Denn: Gebärdensprachen sind vollwertige Sprachen!

 

Dr. Tatjana Binggeli (gehörlos)
Geschäftsführerin Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

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